Karin Rauers
Begegnung mit Geerdts in Marrakesch

Nummer 51, Derb el Hamamm, in Marrakesch-Mouazzin. Hier ist das Dar Fenan, Haus des Künstlers, von Hans-Werner Geerdts, zu dem man vom Platz Djema el Fna am Cafe Argana vorbei durch das Bab Fteu geht. Dann einfach weiter fragen, denn jeder im Quartier kennt den deutschen Maler in der Medina.
Das alte, in gebrochenem Weiß gehaltene Riad mit offenem Innenhof, blauen Türen und Fenstern, kühlem Brunnen strahlt Lebensfreude und Freundlichkeit aus. Es ist auch nach so vielen Jahren noch immer ein Quell der Freude für den Hausherrn. Manchmal bringen Freunde Blumen vorbei, die im steinernen Kübel in der Mitte des Hofes liebevoll arrangiert werden.
Hier kennt Geerdts jeden Stein, jede Stufe, jedes Geräusch - er ist fast körperlich mit dem Haus verbunden. Das Innere ist hell und verwinkelt - bemalte traditionelle Holzbalken, schmale Treppen, überall Zeichnungen und Gemälde, liebevoll gesammeltes Kunsthandwerk und Arbeitsgeräte von Hirten, Bauern und Schäfern – Funktion und Tradition als Einheit verbunden.


Bild: © Karin Rauers

Das Haus ist ein Refugium. Ein Ort der Ruhe und der Inspiration, ein Platz der Kraft und des unermüdlichen Schaffens.
Mehrere Arbeitszimmer bieten die Möglichkeit zu schreiben oder zu malen. Geerdts beginnt damit schon am frühen Morgen - im Atelier auf dem Dach oder an der alten Schreibmaschine in einem kleinen, mit Papier gefüllten Raum neben der Galerie. Der Vormittag ist angefüllt mit Arbeit. Das Mittagessen, das Lalla Malika, die marokkanische Hauhälterin, in der kleinen Küche zubereitet, ist einfach – Salat und Gemüse, angrichtet auf dem dunkel gebrannten Geschirr und den grünen Tamgrouth-Schalen, die Geerdts selbst zusammengetragen hat.
Um den großen Holztisch im Erdgeschoßzimmer neben der Küche, von dem man einen schönen Blick in den Innenhof hat, finden sich mehrmals in der Woche Gäste ein, die Geerdts gerne und oft zum Mittagessen einlädt. So holt er sich die Welt nach Hause, um sich angeregt zu unterhalten und Neuigkeiten auszutauschen.

 


Bild: © Karin Rauers

 

Geerdts ist ein wunderbarer Geschichtenerzähler und ein unnachahmlicher Plauderer! Viel ist an diesem Tisch gelacht worden, gefeiert und geweint. Hätte Geerdts nur alles aufgeschrieben – es würde Bände füllen!
Die Besucher seines Hauses sind Vertraute und Freunde, Künstler, Sammler und Prominente. Sie sind in die rote Stadt gekommen, die sie sehr bald lieben oder hassen. Geerdts hat seit seiner Ankunft viele kommen und gehen sehen. Marrakesch ist anziehend, verwirrend, berauschen und ernüchternd........
Auch Geerdts hat hier viel erlebt und ist doch noch immer Menschenfreund geblieben.


Bild: © Karin Rauers

Im Mittelpunkt seines Schaffens steht der Mensch, den er in fremden Kulturen, fremden Regionen, fremden Körpern, Sprachen und Geisteswelten antraf. Dann hat ihn die rote Stadt Marrakesch aufgesogen mit Haut und Haaren. Die Sinnlichkeit des Djema el Fna versetzte ihn in Ekstase, machte ihn zum Medium und führte seine Hand über Papier und Leinwand und durch ein Zucken des Spachtel wurden die Geschöpfe auf Geerdts Blätter und Leinwände geworfen – gleichsam einem Akt der Zeugung.

Der Platz und das Geschehen haben ihn gefangen genommen. Wo einst Geköpfte zur Schau gestellt wurden, wo Sklaven aus Afrika ankamen und Händler der Karawanen nach Überwindung der Wüste und des Gebirges ihre Waren in den Funduks der Altstadt lagerten und Allah in den nahe gelegenen Moscheen für die glückliche Ankunft dankten, sammeln sich täglich Gaukler und Schlangenbeschwörer, Geschichtenerzähler, Hennamalerinnen und Handleser, Schreiber, Schuhputzer, Trommler und Tänzer. Um sie herum, in sich immer neu formierenden Kreisen stehen die Neugierigen, die Zuhörer, die Staunenden, die Alten und die Jungen, die Traurigen und die Fröhlichen, die Betrunkenen und die Geilen, die Frommen und die Blinden, die Männer und manchmal die Frauen. Eine leidenschaftliche Beziehung zwischen Geerdts und dem Platz entsteht, er ist besessen von ihm und den Gestalten, die er in immer neuen Variationen zeichnet. Halkas – Kreise, die sich um die Darsteller scharen. Körper, die sich eng aneinander fügen, sich schmiegen, sich reiben und sich wieder entfernen.

„ Der Platz war mein Schicksal“ sagt er. Diesen unbeschreiblichen Ort erreicht er, verletzt durch die Erlebnissse des Krieges, weggelaufen von seinem Lehrerberuf, dem Beamtentum und der deutschen Nachkriegszeit, aber gestärkt durch seinen großen Lehrmeister Willi Baumeister aus Stuttgart, bei dem er studierte und der ihn, in Freundschaft verbunden, entsandt hatte um die Länder der Ursprünge abendländischer Kulturen zu suchen. Baumeister erlebte Geerdts Rückkehr nicht mehr. Er starb 1955. So setzte Geerdts das Reisen fort. Ein Reederfreund aus Hamburg lud ihn ein zu Schiffspassagen auf Bullcarriern, die ihn auf alle Kontinente führten.

 


Bild: © Karin Rauers

 

Willi Baumeister hatte die künstlerische wie die persönliche Entwicklung Hans Werner Geerdts tief geprägt: sich über Grenzen hinwegsetzen, Schranken überwinden und die Zeichen deuten, die die unendliche Natur als Metamorphosen vorgibt – das hatte er ihm auf den Weg mitgegeben, wie auch den fast preußischen Wahlspruch „Fleiß rentiert sich“, dem Geerdts ebenso bedingungslos folgt.
Wenn das Mittagessen mit einem Kaffee oder Minztee endet, neue Verabredungen getroffen, Pläne geschmiedet und alle Besucher mit einen freundlich-ironischen „Sagt danke schön und geht“ zum Aufbruch gemahnt wurden, kehrt Ruhe ein. Malika verlässt ihre Arbeitsstätte und nun erscheint Minouche, die schlanke graue Katze und verschläft gemeinsam mit Geerdts auf dem Diwan im schattigen Salon der ersten Etage den Nachmittag. Minouche kommt und geht wie es ihr gefällt, doch meist sucht sie die Nähe ihres Besitzers.


Bild: © Karin Rauers

 

In einer seiner Geschichten hat Geerdts sie beschrieben. Er ist ein sensibler und liebevoller Beobachter und versteht es, in die Welt der anderen einzutauchen.
„Yahia- (es lebe) Marrakesch“ war sein erstes Buch, viele weitere folgten – und manches in seinem Schreibzimmer schlummert noch der Veröffentlichung entgegen.
Die kleinen und großen Kalamitäten des Alltages, Begebenheiten aus der Medina, nachbarschaftliche Zwiste und Freuden – alles wird mit seinen Worten lebendig festgehalten: der Schuhputzer auf dem Platz, die Brotverkäuferin, das organisierte Chaos in der Medina, seine Häusersuche auf dem Land, die mit dem Bau eines Lehmhauses und eines Schwimmbades in einem Berberdorf endet. Mit Humor und Begeisterung setzt er seine Beobachtungen Sprache um.
Geerdts klare Geisteshaltung, seine wachen Augen und sein Verstand haben ihn durch ein ereignisreiches Leben und oft über verschlungene Pfade durch die Welt geführt. Er liebt sein Land, seine Stadt – Marokko, Marrakesch. Er ist ein leidenschaftlicher Mensch, der alle Gefühle durchlebt hat, dem nichts fremd geblieben ist und der sich selbst beobacht und zuweilen als „vorübergehende Erscheinung“ bezeichnet oder – wie bei einem Billardspiel – zufällige, unklakulierbare Begegnungen und Berührungen als Quintessenz des Menschsein formuliert.

 


Bild: © Kar
in Rauers

 

Wenn er sein Haus am Nachmittag verlässt, reißen die Begrüßungen („Bonjour, Salam al leikum, Monsieur Geerdts“, „Lääbes – wie geht`s, Monsieur Geerdts? “) der Nachbarn und Händler auf den Souk nicht ab. Ehrerbietig wird dem Künstler ein Stuhl für eine kleine Pause angeboten und es findet eine jungenhafte, verbale Rauferei mit den Verkäufern statt. Sie kennen ihn seit ihren Kindertagen und haben ihn oft auf seinen Streifzügen durch die Gassen begleitet. Sie zollen ihm Respekt und Achtung, auch wenn mancher nicht so recht versteht, wie man mit Bildern Geld verdienen kann.
Geerdts hat Marokko in vielen Facetten dargestellt: die Menschen vom Platz als Homochiffren, als Masse (französisch La Foule) - er sieht sich somit als Begründer des Foulismus. Die Chiffren wurden zu Buchstaben und wie Zeitungen, Stellenanzeigen und Briefe mit kalligraphischen Zeichen auf das Papier gesetzt. Er hat die Landschaften der Umgebung gezeichnet, das Atlas-Gebirge, die Täler, die Märkte, die Dörfer, die Strände und die Gebäude, aber vor allem die Farben und das Licht.
Das künstlerische Werk Geedts geht weit über die Darstellung Marokkos hinaus. Seinem Lehrmeister Willi Baumeister folgend beschäftigte er sich mit den Mythen der Sumerer und der Göttin der Liebe - Inanna, die der Legende nach den Menschen als Abend-und Morgenstern erscheint. Als eine moderne deutsche Fassung der Texte in einem Verlag herausgegeben wird, illustriert er die geheimnisvollen Chiffren- Bilder des Zaubers einer untergegangenen Welt.

 


Bild: © Karin Rauers

 

Weitere Zeichen des Archaischen entdeckt Geerdts im Hohen Atlas. Urzeitliche Felsbilder, die er mit Frottagetechnik abreibt - in den Stein geritzte Zeugen menschlicher Existenz kommen zum Vorschein. Homochiffren vergangener Zeiten, die auf wundersame Weise im Einklang mit der Moderne stehen – Kunst ist grenzenlos, auch in den Dimensionen der Zeit.
Mit über 80 Jahren hat Geerdts sich selbst portraitiert: „ Ich, groß und klein kariert“. Das Bild zeigt eine große schwarze Fläche und viele kleine Quadrate als Anhängsel. Immer wieder in seinem langen Künstlerleben kommt Geerdts auf seinen Meister zurück und malt Flächen, Risse, sich berührende geometrische Formen. Er scheut sich nicht, sie „meine Baumeister- Bilder“ zu nennen – eine Hommage an seinen Meister, der ihm den Weg bereitete um Schranken zu überwinden und die Zeichen der Natur zu deuten. Geerdts wird weitersuchen - in Marrakesch und anderswo.


Karin Rauers, Marrakesch im Juli 2009

Hans-Werner Geerdts habe ich 1989 auf einer Marokko-Reise mit dem 2006 verstorbenen Dr. Bernd Hakenjos, Direktor des Hetjens-Museums, Deutsches Keramikmuseum in Düsseldorf, kennen gelernt. Seitdem sind wir uns immer wieder begegnet und freundschaftlich verbunden. Außerdem ist er mein Ehestifter - dies ist eine marokkanische Geschichte für sich. Ich danke GEE für alles.